Ausbildung vs. Abitur – Die betriebliche Perspektive

Meine Gedanken zum Abend beschäftigen sich heute mit dem heutigen Blogeintrag von Jöran Muuß-Merholz "Alle reden nur vom Abitur. Warum ist die berufliche Bildung ein stummer Riese?".

Zum Ende des Artikels stellt Jöran die These auf, dass die Menschen, die die Agenda auf der Ebende der Politik aber auch auf der Ebende der sonstigen Zivilgesellschaft bestimmen das Berufsbildungssystem schlicht nicht so gut kennen, wie das von ihnen durchlaufene und präferierte Bildungssystem aus Abitur und Studium. Aus diesem Grunde steht der "Riese" Berufsausbildung nicht auf deren Agenda.

Diese These kann ich aus der betrieblichen Praxis bestätigen. Es gibt ja auch durchaus Belege dafür. Die Akademikerquote im Deutschen Bundestag lag Mitte letzten Jahres bei knapp 80% (vgl. https://www.forschung-und-lehre.de/politik/mehr-als-80-prozent-akademiker-im-bundestag-1861/). Journalisten haben eine akademische Ausbildung und selbst Wissenschaftler sind in der Regel rein akademisch gebildet.

Das heißt nicht, dass das schlecht ist, ich habe selbst ja auch eine akademische Bildung (neben meinen beiden Berufsausbildungen und einer Aufstiegsfortbildunge aus dem beruflichen Bereich) aber Jöran greift einen Punkt auf den ich immer wieder feststelle:

  • Berufsausbildung ist grade dieser Gruppe von Entscheidern gegenüber stark erklärungsbedürftig.

Hinzu kommen zwei weitere Komponenten:

  • Berufsausbildung wird häufig in der Qualität unterschätzt.
  • Berufsausbildung ist bei dieser Gruppe vergleichsweise selten vor einer akademischen Ausbildung vorgeschaltet gewesen.

Das sind die Probleme, die ich als Bildungsexperte in der beruflichen Bildung seit langem aus der Praxis kenne, und für die ich sehr häufig antworten finden muss

Ich stelle das Ganze mal aus der innerbetrieblichen Perspektive dar. Ich arbeite in einem Wissenschaftsbetrieb. Unsere Akademikerquote liegt sicherlich deutlich oberhalb von 60%. Entscheider sind fast ausnahmslos Personen mit Hochschulabschluss, viele promoviert oder habilitiert. Alles hervorragende Experten auf ihrem Gebiet und viele tolle Menschen und tolle Führungskräfte, zu denen man aufschauen kann. Mein Job wird aber immer mehr davon geprägt, den Wert der Berufsausbildung nach innen ins Unternehmen zu verkaufen.

  • Was ist der Nutzen?
  • Welchen Vorteil hat berufliche Ausbildung?
  • Welche Rolle spielt das duale Studium?
  • Welche Berufe gibt es überhaupt?
  • Wie passen die nicht akademischen Berufsbilder in ein wissenschaftliches Institut?
  • Wie funktioniert Berufsausbildung überhaupt?
  • Was können die Absolventen der Berufsausbildung?

Insbesondere die letzte Frage finde ich immer spannend und die Diskussionen dazu sind häufig auch interessant für die Entscheider. Ich habe dann immer den Impuls zu fragen: Was können denn die Studienabsolventen?

Wenn man auf die konkreten Inhalte der Ausbildung und des Studiums schaut werden ein paar Unterschiede deutlich von denen ich mal ein paar aufgreife:

Die Stärke der dualen beruflichen Bildung ist m.E. die Verlässlichkeit des Systems: Klar beschriebene, technologieoffene Ausbildungsordnungen, Mindestanforderung und -standards, ein qualitätsgesichertes, bundesweites Prüfungswesen und eine überschaubare Quantität der Berufsbilder.

Klar für viele Jobs ist Analysefähigkeit und Führungskompetenz gefragt und oft auch Spezialwissen. Das lernt man (meist) nicht in der Tiefe und mit der Methodenvielfalt in einer Ausbildung (darauf weist ja schon die Einstufung im europäischen Referenzrahmen hin). Beim Studium zahlt dann vielfach als Stärke die Vielfalt die Möglichkeit der Ausbildungsgänge ein. Diese Vielfalt ist aber m.E. eher ein Problem und eine deutliche Schwäche gegenüber dem dualen System: Laut Statista gab es im letzten Wintersemester 18.423 Bachelor- oder Masterstudiengänge (vgl. J. Rudnicka, 10.12.2019, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/2854/umfrage/bachelor–und-masterstudiengaenge-in-den-einzelnen-bundeslaendern/). Ich frage mich ernsthaft wie jemand die Qualität jedes einzelnen Studiengangs bewerten kann und in diesem Kontext benennen kann, was ein Studienabsolvent tatsächlich können sollte. Dass es Zertifizierungstellen für die Studiengänge gibt, ist klar. Wie aber ist die Relevanz dieser Zertifizierungen für die einstellenden Unternehmen zu bewerten?

Bewerben sich 10 Industriemechaniker oder Industriemeister Metall kann man ganz klar und bundesweit davon ausgehen, welche Wertigkeit ein Abschluss hat (bekannte Qualifikation) und was der Inhaber kann (Kompetenz). Versucht das mal mit 10 Bachelor of Arts Business Administration von unterschiedlichen Hochschulen. Das bringt auch die akademischen Entscheider zum nachdenken – garantiert!

Der Riese berufliche Bildung sollte tatsächlich weiter in den Fokus genommen werden, da tragen wir Bildungsexperten zu bei. Gut ist, dass dieses Thema immer wieder aufgegriffen wird und innerhalb der Betriebe und auch in der Zivilgesellschaft und auf der politischen Ebene diskutiert wird. Insofern: Danke Jöran für deinen Impuls!


Der Beitrag "Ausbildung vs. Abitur – Die betriebliche Perspektive" von Ulrich Ivens steht unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

Beitragsbild: OECD Logo, Lizenz Public Domain

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