Aufgaben von Ausbildungspersonal – Teil 1

Ich habe den Artikel von Grollmann P. und Ulmer P. (2019) zu Aufgaben und Qualifikationen von betrieblichen Bildungspersonal gelesen und mir erlaubt, zumindest für die berufspraktische Seite sinnvolle Vorschläge für die Aufgaben (und Rollen) von Ausbildungspersonal zu machen. Dazu werde ich eine dreiteilige Serie publizieren, die genau diese Aufgaben darstellt – so wie sie bei uns im Unternehmen auch implementiert sind – und meine Gedanken dazu erläutert.

Ich hoffe damit einen Beitrag ausgehend von der Seite der Praktiker zu liefern, den auch die Berufsbildungsforschung aufgreifen kann. Vielleicht sind ja Anregungen dabei, welche dieser Aufgaben sinnvoll in Weiterbildungskonzepte für Ausbildungspersonal einfließen könnten. Außerdem wünsche ich mir einen Diskurs über die Aufgaben und Rollen und möchte gerne mit anderen Ausbildungsbetrieben darüber diskutieren.

Das Ausbilderbild

Ausbilder (es werden grundsätzlich alle Geschlechter angesprochen) sind heute keinen reinen Fachausbilder mehr, wie der genannte Artikel treffend beschreibt. Während Ende der 1980er Jahre die Fachausbildung im Vordergrund stand, sind die Leitbilder der Ausbildung – besonders in größeren Organisationen differenzierter ausgestaltet. Teilweise sind Rollenbilder (der Artikel bezeichnet dies als Leitbilder) wie Lernprozessbegleiter oder ähnliches hinzugekommen. Insgesamt ist in meiner Wahrnehmung die Rolle "Ausbilder" durch viele Teil-Rollen angereichert worden, von denen die Fachlichkeit nur noch eine unter vielen ist. Auch ist in meiner Wahrnehmung eine steigende Komplexität zu erkennen. Weggefallen sind keine Aufgaben, aber viele sind dazugekommen. Ich habe dazu im Jahr 2016 bei einem Workshop bei der IHK Aachen folgende Darstellung in einem Impulsbeitrag eingebracht:

Bild: Ausbilderrollen, Ulrich Ivens (2016), CC BY-SA 4.0

Wenn man diese unterschiedlichen Teil-Rollen sieht, die aus meiner Praxisbeobachtung entstanden sind, ist die Entwicklung eines konkreten Ausbilderbildes im Betrieb unbedingt erforderlich, damit den Ausbildern die Erwartung und die damit verbundenen Aufgaben auch transparent werden. Allerdings ist auch klar, dass dieser Anspruch in erster Linie an das hauptberufliche Ausbildungspersonal gerichtet sein kann. Laut Artikel sind 90 Prozent der Ausbildenden Fachkräfte, mit der nebenberuflichen Zusatzaufgabe Ausbildung. Diese Fachkräfte machen auch bei uns den Großteil der mit Ausbildung betrauten Mitarbeitenden aus. Auch diese Kollegen müssen meiner Meinung nach für gute Ausbildung einen Teil des komplexen Rollenbildes abdecken. Hier als Ausbildungsbeauftragter (= ausbildende Fachkraft) den Anspruch zu haben zu den hauptamtliche Ausbilder vollständig aufzuschließen ist jedoch sehr unwahrscheinlich, denn wie auch treffend im Artikel beschrieben existiert hier das Spannungsfeld zwischen betrieblicher Hauptaufgabe und der nebenberuflichen Aufgabe als Ausbildungsbeauftragter. Angebote, wie eine Ausbildertrainingsreihe oder die Möglichkeit, die AEVO-Prüfung abzulegen und ein Coaching zum Thema Ausbildung und AEVO zu erhalten, ist für unsere Ausbildungsbeauftragten bereits seit langem implementiert. In vielen Unternehmen in der Region ist das aber nicht so, da gibt es solche Angebote schlicht nicht. In meiner Wahrnehmung korreliert das sehr stark mit der Größe des Ausbildungsbetriebs bzw. mit der Professionalität der Ausbildungsstrukturen.

Berufliche Handlungskompetenz

Aus der Arbeitspädagogik sind unterschiedliche Kompetenzarten und die sogenannten Schlüsselqualifikationen bekannt. Deren Adressierung ist schon immer wesentlicher Inhalt der fachlichen Ausbildung gewesen. Primär adressiert durch das Konzept der berufliche Handlungskompetenz. Zusammenfassend könnte man das auch als Oberziel der dualen Berufsausbildung bezeichnen: Einen fähigen Facharbeiter als Outcome des Ausbildungsprozesses zu erzeugen, der selbständig und eben fachkompetent seine betrieblichen Aufgabenstellungen erledigen kann.

In unserer Aufgabenbeschreibung für Ausbildungspersonal sind dazu am Anfang folgende Punkte erfasst:

Vermittlung der beruflichen Handlungskompetenz

  • Nutzung von Gruppen- und Individualmethoden.
  • Unterstützung individueller Lernpfade durch Ermittlung möglicher Defizite und Stärken bei den Auszubildenden und Adressierung durch spezielle Unterrichtseinheiten und Methoden (z.B. Coaching, Beratung, Nachhilfe, eLearning, Projektarbeiten, Führungstechniken) unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Voraussetzungen und Vorqualifikationen von Lernenden.

Das bedeutet, dass ein Ausbilder, um passgenau berufliche Handlungskompetenz bei seinen Auszubildenden zu erzeugen, schon ein ganz schön breites Repertoire an Ausbildungs- und Führungsmethoden kennen muss und soweit verinnerlicht haben sollte, dass er es situations- und adressatenbezogen anwenden kann.

Eigentlich lernt man genau das in der Vorbereitung auf die Ausbildereignungsprüfung nach AEVO. Einfach in der Umsetzung ist das trotzdem nicht. Besonders deshalb, weil das Thema Individualisierung der Lehrens mittlerweile eine Schlüsselrolle einnimmt. Ausbildung "von der Stange" mit sehr homogenen Azubigruppen ist insbesondere bei Lehrwerkstätten oder außerschulischen Berufsbildungseinrichtungen einfach nicht mehr die Realität. Vielmehr ist – durch Erwartungen aufgrund des gesellschaftlichen Wandels oder auch aufgrund individuelle Bedarfe des Auszubildenden – eine Individualisierung fast ein gesetzter Standard.

Im Artikel ist von Professionalität die Rede. Genau diese Professionalität in der Ausbilderrolle haben wir dadurch "kodifiziert", dass wir die Vorstellung von der modernen und individuellen Vermittlung von beruflicher Handlungskompetenz mit Leben gefüllt haben. Das haben wir – natürlich im Hinblick auf die Bedarfe und die Situation unserer Organisation und der (zu erwartenen) Entwicklung der von uns genutzen Berufsbilder, in einer Ausbilder-Arbeitsgruppe erarbeitet. Die Kodifizierung ist insofern verbindlich, dass eben diese Aufgaben Teil der Tätigkeitsbeschreibung von allen Ausbildern geworden ist. Die Gruppenmethodik wurde deshalb gewählt, weil sie die Anschlussfähigkeit zu den Konzepten Identifikation bzw. Committment aus der Arbeitspsychologie darstellen. Das hier ist insofern als unsere Beschreibung zu verstehen, die sicherlich für andere Betriebe angepasst werden kann, vielleicht sogar sollte.

Was gehört also noch dazu:

Vermittlung der notwendigen Fachkompetenzen

  • Vermittlung bzw. Überwachung der Vermittlung aller Kenntnisse und Fertigkeiten, die sich aus dem betrieblichen Ausbildungsplan und den betrieblichen Anforderungen ergeben.
  • Unterrichtung aller theoretischen Inhalte und Unterweisung aller praktischen Inhalte, die sich aus dem Berufsbild, den betrieblichen Anforderungen und dem jeweiligen didaktischen Konzept ergeben.
  • Unterstützung beim Erlernen der Unterrichtsinhalte des Berufsschulunterrichtes.
  • Prüfungsvorbereitung auf Abschlussprüfungen im Ausbildungsverhältnis

Die Fachkompetenzen beziehen sich auf die gesetzlich kodifizierten Inhalte der Ausbildungsordnungen und deren konkreten Umsetung im Betrieb und auf betriebliche Anforderungen, um nicht am Anspruch des Übernahmemarktes vorbei auszubilden. Die Unterstützung des Azubis in allen Fachfragen erstreckt sich auch auf die Inhalte der Berufsschule. Obwohl hier der Betrieb ja nicht die primäre Verantwortung hat ist eine erfolgreiche Ausbildung ja auch abhängig von den erbrachten Leistungen in der Berufsschule.

Die weiteren notwendige Kompetenzbereiche aus der beruflichen Handlungskompetenz adressieren alte Bekannte, teilweise im neuen Gewand:

Methodenkompetenzen:

  • Informationsbeschaffungsfähigkeit und Dokumentation
  • Konzeptionelle Kompetenz
  • Planungs- und Organisationsfähigkeit
  • Zeit- und Selbstmanagement
  • Präsentationsfähigkeit
  • Prozessbasiertes und risikobasiertes Denken

Individualkompetenzen:

  • Treffen von sinnvollen Entscheidungen
  • Eigenständiges Planen
  • Vertreten eigener Entscheidungen
  • Regeltreue
  • Erziehung und kritisches Denken

Sozialkompetenzen:

  • Richtiges und konstruktives Kritisieren erlernen
  • Feedback annehmen lernen
  • Kooperations- und Kollaborationsbereitschaft erlernen

Hier haben wir fachbezogene Methodenkompetenz völlig herausgelassen. Erstens, weil es hier um eine Aufgabenbeschreibung für alle Ausbilder geht (unabhängig vom Berufsbild), und zweitens, weil die Methoden überwiegend schon aus der Fachlichkeit der Ausbildungsordnungen hervorgehen und individuell natürlich auch von Einsatzort zu Einsatzort unterschiedlich sein können. Im Hinterkopf hatten wir – neben meinen Beobachtungen und Ideen zu Rollenanreicherung bei Ausbildungspersonal – auch das Modell der 21st Century Skills, im deutschsprachigen Raum als 4K der Bildung bekannt vgl. Fadel et al (2017).


Die Bilder aus der Präsentation „Was die Leute für 4K halten – und was es wirklich ist“ stammen von Jöran Muuß-Merholz mit Zeichnungen von Hannah Birr, Agentur J&K auf Basis einer Folie von Markus Bölling. Lizenz: CC BY-SA 4.0.

Sehr individuell für uns, aber auch sehr zukunftsorientiert, haben wir auch sonstige allgemeine Kompetenzen erfasst, die Ausbilder den Auszubildenden nahebringen müssen. Bis auf den ersten Absatz erkennt man, dass es fast gar nichts mehr mit fachlichen Dingen oder berufsspezifischen Dingen zu tun hat. Vielmehr adressieren wir hier Querschnitts- oder Metakompetenzen, die allerdings zunehmend bei Neuordnungen Einzug in die Ausbildungsordnungen halten. Hier ist also sicherlich Weiterbildung für Ausbildungspersonal notwendig und sinnvoll und ein Wandel in allen Berufsbildern sichtbar.

Vermittlung sonstiger, allgemeiner Kompetenzen

  • Sicheres Arbeiten unter Berücksichtigung aller relevanten Arbeitssicherheitsvorschriften
  • Arbeitsschutzbelehrungen und Kontrolle der Einhaltung aller Arbeitssicherheitsvorschriften
  • Abfallentsorgung
  • Umweltschutz
  • Qualitätssichernde Maßnahmen und Kundenorientierung
  • Anwendung und Weiterentwicklung des QM-Systems nach DIN EN ISO 9001:2015
  • Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit im eigenen Arbeitsbereich
  • Arbeitsorganisation und Kommunikation

Vermittlung von Kompetenzen zu Datenschutz- und Informationssicherheit im Kontext der Fachausbildung und übergeordneter Prozesskompetenzen (interdisiplinär)

  • Informationstechnik
  • Informationssicherheit
  • Datensicherheit
  • Cyber Security Basics

Vermittlung von Sprachkompetenzen zur Fremdsprachennutzung (Englisch) im betrieblichen Kontext

  • Fach- und Konversationsenglisch im betrieblichen Kontext
  • Unterstützung beim Fremdsprachenerwerb

Insbesondere die Kompetenzen zum Datenschutz zur Informationssicherheit und Cyber Security Basics haben hier an vielen Stellen zunächst zu Stirnrunzeln geführt. Ist es wirklich Aufgabe von einem, sagen wir Ausbilder für Industriemechaniker, solche "IT-Themen" zu vermitteln? Wir haben uns für ein klares "Ja" entschieden, denn digitale Ausbildungsmethoden, IT Nutzung im Bereich CAD/CAM, digitale Kundenbeziehungsprozesse, zunehmende Nutzung von Software-as-a-Service in Clouds, eLearning, digitale Ausbildungsplanung, Kommunikation via Messenger und Ticket-Systemen, Informationsbeschaffung und Bewertung im Web, digitale Berichtshefte und vielen Dingen mehr legen genau das nah: Jeder Ausbilder muss die Grundlagen, Gefahren, Risiken, Chancen und Nutzenaspekte der digitalen Welt in seinem Arbeitsbereich kennen, anwenden können und bei der Vermittlung seiner Inhalte in allen Belangen adressieren können. Damit – als Darstellung der Extrempunkte – eben nicht wahlweise abgelehnt wird solche Dinge zu nutzen, aber auch nicht nur die rosarote Brille angezogen wird.

Zwischenfazit zum Ende des ersten Teils

Wenn man das zusammenfassend betrachtet könnte man zum Schluss kommen, dass sich die Erwartung an die berufliche Handlungskompetenz von Facharbeitern grade massiv verschiebt und dadurch auch das traditionelle Ausbilderbild ins Wanken kommt und eben deshalb durch die vielen Rollen angereichert wird. Dass das BIBB und die Berufsbildungsforschungs im Allgemeinen diesen Themenbereich aufgreift erscheint mir daher daher konsequent, plausibel und richtig. Vielleicht sogar schon ein wenig zu spät.

Das war der erste Teil zu den Aufgaben von Ausbildungspersonal, im zweiten Teil in der nächsten Woche schauen wir uns die Beteiligung an Auswahlverfahren, die Planung der Ausbildung und auch die Implemtierung von betrieblichen Erfordernissen an. Ich freue mich wie immer auf Komentare, Ideen und vielleicht einen Diskurs.

Literaturnachweis

Grollmann P. & Ulmer P. (2019) Betriebliches Bildungspersonal – Aufgaben und Qualifikation. In: Arnold R., Lipsmeier A., Rohs M. (eds) Handbuch Berufsbildung. Springer Reference Sozialwissenschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-19372-0_41-1

Fadel, C., Bialik, M., Trilling, B., Schleicher, A., & Muuß-Merholz, J. (2017). Die vier Dimensionen der Bildung. : Was Schülerinnen und Schüler im 21. Jahrhundert lernen müssen. Hamburg: Verlag ZLL21 e.V., Zentralstelle für Lernen und Lehren im 21. Jahrhundert e.V., 2017. https://www.amazon.de/Die-vier-Dimensionen-Bildung-Sch%C3%BClerinnen-ebook/dp/B0754HHDDD/


Der Beitrag "Aufgaben von Ausbildungspersonal – Teil 1" von Ulrich Ivens steht unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

Beitragsbild von geralt Lizenz: Pixabay Licence

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